Vom Arlberg bis zum Neusiedlersee: Ein Land, viele Stimmen für die Trauer

Barbara Nepp: Co-Founderin des salve! Zentrums für psychosoziale Gesundheit, Wien

Als Trauerbegleiterin weiß ich aus eigener Erfahrung und durch die Begleitung meiner Klienten, wie einzigartig und vielschichtig Trauer sein kann. Doch wie unterschiedlich ist eigentlich die Arbeit von Trauerbegleiter:innen in den verschiedenen Regionen Österreichs? Welche Erfahrungen prägen ihren Alltag, und was treibt sie an, Menschen in ihren dunkelsten Stunden beizustehen?

Genau diesen Fragen gehen wir in unserer InterviewreiheVom Arlberg bis zum Neusiedlersee: Ein Land, viele Stimmen für die Trauer “ nach.

Ich spreche mit Kolleg:innen aus jedem einzelnen Bundesland. Sie teilen ihre persönlichen Beweggründe für diese tiefgehende Arbeit, geben uns Einblicke in ihren Berufsalltag und beleuchten, wie sich die Trauerbegleitung in den letzten Jahren verändert hat. Darüber hinaus befragen wir auch noch Expert:Innen aus dem D-AUT-CH-Raum, einem Repräsentanten aus dem EU-Raum als auch eine/n internationale/n Expert:In.

Den Auftakt dieser besonderen, kulturell-geprägten Interview-Serie macht heute Barbara Nepp (43) aus Wien.

Das erwartet Sie im Interview:

  • Der persönliche Weg zur Begleitung
  • Einblicke in den Alltag der Trauerbegleitung
  • Ein Ort für Begegnung: salve!
  • Rituale als wichtiger Bestandteil der Trauerbegleitung

 

weinendes Frauenauge

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Der persönliche Weg zur Trauerbegleitung

Familiäre Prägung und erste Berührung mit dem Thema Verlust

 

Ulla Gschwandtner: Liebe Barbara, wir haben uns beim Aufbaulehrgang von Mechthild Schroeter-Rupieper, der Begründerin der Familientrauerbegleitung, kennengelernt. Ich möchte mich heute gerne mit dir darüber unterhalten, wie es dir als Trauerbegleiterin geht. Vielleicht magst du dich am Anfang kurz vorstellen. Und vor allem interessiert mich, wie du zur Trauerbegleitung gekommen bist.

Barbara Nepp: Danke für die Einladung. Mein Name ist Barbara Nepp, und ich glaube, diese Themen Trauer, Tod und Sterben begleiten mich schon von Kindesbeinen an. Eigentlich eher das Unverständnis darüber, warum das so tabuisiert wird und warum da keiner redet, wenn das etwas ist, was alle betrifft.

Ich wurde aber von meiner Familie sehr, sehr ferngehalten, was sogar dazu führte, dass ich mit 25 von meiner Mutter nicht einmal erfahren sollte, dass meine Oma verstorben ist.
Ich habe gemerkt, wie schwer es den Erwachsenen fällt, damit umzugehen, und wie sehr ich davon ferngehalten wurde. Als Kind einen Toten zu sehen oder auch nur mitzubekommen, wäre undenkbar gewesen.

Gleichzeitig gibt es in meiner Familiengeschichte sehr viele Verluste, was vielleicht auch eine Rolle spielt, die mir immer bewusster wird, je mehr ich mich damit beschäftige. Mein Vater hat seinen Vater verloren, als er zwei Jahre alt war; er ist im Krieg gestorben. Der Vater meiner Oma ertrank in der Donau, als sie zwölf Jahre alt war.

Vielleicht wurde mir, ohne es zu wissen, diese Familientrauma in die Wiege gelegt, und das hat mich immer umgetrieben und beschäftigt.

 

Vom Ehrenamt zur Profession: Warum Barbara Nepp sich für diesen Beruf entschied

Der tatsächliche Entschluss, mich auf Trauerbegleitung zu spezialisieren, stand für mich außer Frage. Bevor ich die Ausbildung zur psychosozialen Beraterin machte, habe ich mich ehrenamtliche Hospizbegleiterin qualifiziert.

Für mich war es daher so, dass ich die Qualifizierung zur Lebens- und Sozialberaterin, LSB, (Beruf mit Gewerbeberechtigung) brauchte, um Trauernde begleiten zu können, und nicht, dass ich Lebens- und Sozialberaterin (LSB) werden möchte und dann schaue, wohin ich mich spezialisiere. Es war eher genau umgekehrt, dass man einen guten Schutz dafür hat, Trauernde begleiten zu können – sowohl fachlich durch die ergänzende Qualifizierung als auch gewerberechtlich.

Ulla Gschwandtner: Das war bei mir sehr ähnlich. Ich habe auch schon gewusst, dass ich Trauerbegleitung machen möchte und habe den LSB dafür gebraucht, um hier gewerberechtlich und beruflich aktiv sein zu können.

 

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Zwischen Tabu und Anerkennung: Alltag in der Trauerarbeit

Ulla Gschwandtner: In deiner täglichen Arbeit mit Trauernden, was fällt dir da auf? Was gibt es für Besonderheiten in der Trauer, oder gibt es Tabus, über die man nicht spricht? Vielleicht magst du ein bisschen aus dem Alltag erzählen?

Barbara Nepp: Mir fällt allgemein im Alltag auf, dass, wenn man erzählt, dass man Trauerbegleiterin ist, einem da schon die Tabus begegnen. Die Menschen sagen zum Beispiel: „Gott sei Dank brauche ich das gerade nicht,“ oder „Es gibt gerade eh keinen aktuellen Todesfall in der Familie.“

Oft kommt auch eine abwehrende Haltung und ein Durchschnaufen, warum man gerade keine Trauerbegleitung braucht. Der Leidensdruck muss schon sehr groß sein, oder es muss ein sehr einschneidender Verlust sein, damit man sich selbst zugesteht, Trauerbegleitung in Anspruch zu nehmen.

Das merke ich auch bei den Klienten. Der Verlust ist immer persönlich schwerwiegend, aber oft kommen Klienten, die einen objektiv schwerwiegenden Verlust haben, wie zum Beispiel den Tod eines jungen Partners oder eines jungen Vaters von Kindern, oder es war sehr akut und dramatisch.

Man gesteht sich dann wirklich ein, dass man Hilfe braucht, aber die „normale“ Trauer über einen Verlust findet oft gar keinen Platz. Da gibt es eher dieses Tabu oder die Einstellung, dass man selbst damit zurechtkommen muss. Es geht ja jedem so. Andere haben das auch schon geschafft, also werde ich das auch schaffen. Genau.

Ulla Gschwandtner: Ich glaube auch, dass es eher in jüngerer Zeit ist, dass man sich tatsächlich Hilfe holen kann, und dass es sinnvoll ist, sich Hilfe zu holen.

 

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Das Zentrum ‚Salve‘: Ein Ort für heilsame Begegnung

 

Räume der psychosozialen Gesundheit in Wien

Ulla Gschwandtner: Du bist jetzt im Süden von Wien mit deiner Praxis angesiedelt. Magst du ein bisschen über deine Praxis erzählen? Ich habe ja Teile der Räumlichkeiten kennenlernen dürfen und bin begeistert.

Barbara Nepp: Ja, also 2022 haben wir das „Salve“, ein Zentrum für psychosoziale Gesundheit, gegründet, wo mein Schwerpunkt immer schon die Trauerbegleitung war.

Die Idee ist,

  • einen guten Raum für Menschen zu schaffen,
  • für ein Miteinander, wo alles Platz haben darf,
  • von den Tränen bis zum Lachen, und
  • wo viel mit Leben und Miteinander erfüllt ist.

 

Vom Death Café bis zum Trauergarten: Angebote, die verbinden

Wir haben das zuerst zu zweit gegründet und dann Mitstreiterinnen bekommen. Ganz am Anfang ist Alexandra Masetti dazugekommen, die Psychotherapeutin ist und das Death Cafe Wien leitet.

Da haben sich viele glückliche Zufälle ergeben, dass gerade diese Themen verstärkt zu uns gekommen sind und dass das Death Cafe Wien seitdem ein Zuhause im Salve gefunden hat. Es kann jetzt eine wachsende Praxisgemeinschaft werden, wo aus unterschiedlichsten Fachrichtungen, nicht nur für die Trauer, vor allem Frauen wirken.

Ulla Gschwandtner: Und ihr habt euch auch vor kurzem erweitert.

Barbara Nepp: Genau, ja. Wir haben heuer die Gelegenheit bekommen, um ein weiteres Stockwerk zu erweitern, also das sind noch einmal vier oder drei Beratungsräume und ein Gruppenraum. Vor allem ist das Besondere, dass unsere Praxis dadurch jetzt einen Außenbereich bekommen hat, einen großen Garten mit einer sehr kraftvollen Buche als Herzstück. Dort gibt es eine Art Therapiegarten und Trauergarten.

Für mich ist es ein Trauergarten, aber es geht um Begegnung, um Raum, um Stille, um Begleitung. Einfach auch im Freien Platz dafür zu schaffen, diese Rückverbindung mit der Natur und mit dem Einfachen in der Begleitung zu ermöglichen.

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Von Zeit, Raum und Worten für Trauernde

Kultur prägt Trauer

Ulla Gschwandtner: Das klingt sehr schön und stimmig. Du bist in Wien im 23. Bezirk mit dem Zentrum „Salve“ angesiedelt. Merkst du kulturelle Unterschiede in der Trauer? Hast du in deinem Alltag hier Erfahrungen gemacht, oder ist es eher unsere Kultur, die die Trauerbegleitung in Anspruch nimmt?

Barbara Nepp: In meiner eigenen Praxis habe ich nur Menschen aus meinem eigenen Kulturkreis. Da ich auch ehrenamtlich beim Roten Kreuz in der Krisenintervention tätig bin, habe ich vereinzelt auch Einsätze, bei denen andere Kulturkreise betroffen sind.

Bei einem Einsatz in einem Flüchtlingsheim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge war es zum Beispiel stark spürbar, dass mit Trauer ganz anders umgegangen wird. In diesem speziellen Fall – es ist jemand ertrunken – durfte man nicht weinen; sobald jemand zu weinen begann, packten ihn drei an der Schulter, damit er es wieder schafft, nicht zu weinen.

Ich glaube, es gibt ganz starke kulturelle Unterschiede. Ich habe auch im Bereich Organspende Seminare zum interkulturellen Umgang in der Trauer mitgearbeitet, weil es da wesentliche Unterschiede gibt.

 

Worte der Trauer prägen die Sprache

Ulla Gschwandtner: Hat die Trauer besondere Worte für dich? Gibt es Formulierungen, die dir in deinem Alltag begegnen oder die du immer wieder verwendest? Oder hast du Veränderungen in den letzten Jahren wahrgenommen?

Barbara Nepp: Ja, ich glaube schon, dass man sich, auch wenn man in der Trauerbegleitung ist, auf irgendeine Art und Weise eine eigene Sprache aneignet, die uns dann gängig ist.

Ein wichtiges Wort in den letzten Jahren ist für mich „heilsam“ geworden. Es ist wichtig, heilsame Impulse zu finden, damit Trauer wieder gut werden kann. Ich habe auch immer im Kopf, dass unsere Räumlichkeiten ein heilsamer Ort sein sollen, an dem heilsame Begegnungen stattfinden können. Das ist ein Wort, das sehr in meine Sprache Einzug gehalten hat.

Ulla Gschwandtner: Und das passt ja sehr gut für psychosoziale Gesundheit und Trauerbegleitung. Was findest du in der Trauerbegleitung wichtig oder was wird vielleicht über- oder unterschätzt?

Barbara Nepp: Ich finde es wichtig, der Trauer Raum und Zeit zu geben. Manchmal braucht es vielleicht sogar weniger Worte. Gerade im Freundes- oder Bekanntenkreis wird oft unterschätzt, wie viel kleine Gesten bedeuten können. Wie viel es ausmachen kann, wenn man ein Essen vorbeibringt und für einen ganz normalen Alltag sorgt oder vielleicht einen Gutschein für dreimal Staubsaugen einer Freundin schenkt, deren Partner verstorben ist.

Diese einfachen Gesten und das unerschrockene auf Trauerndezugehen können sehr wertvoll sein. Das wird, glaube ich, unterschätzt, weil oft dem Nichtbetroffenen die Sprache fehlt oder Berührungsängste bestehen. Das wirkt sich dann negativ auf den Trauernden oder den Trauerprozess aus, weil ihm dadurch viel abgeschnitten wird.

Je mehr Zeit voranschreitet, sagen viele Trauernde, wird einem immer mehr abgesprochen, obwohl das, wenn man etwas betrauert, immer ein wichtiger Teil im Leben sein will.

Man möchte gerade über ein verstorbenes Kind oder einen verstorbenen Partner, aber auch über jeden schwerwiegenden Verlust bis zu seinem Lebensende sprechen können, weil es ein wichtiger Bestandteil war.

Man sollte nicht die Einstellung haben, dass irgendwann alles gut ist und damit abgeschlossen ist. Ich glaube, das ist auch wieder das Wort „heilsam“, wenn Trauernde einfach auch, gerade wenn viel Zeit vergangen ist, Raum bekommen.

 

Wenn Tabu und Schweigen der Trauer weichen, können heilsame Worte wirken

Ulla Gschwandtner: Ich finde, dass sich in der Gesellschaft schon etwas verändert. Früher wurde das absolut totgeschwiegen, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn es einen Trauerfall gab. Jetzt gibt es Gott sei Dank immer mehr Angebote, wo man sich hinwenden und wo man darüber reden kann.

Es gibt auch entsprechende Literatur, wo man sich als Mensch im Umfeld einer betroffenen Familie informieren kann, wie man unterstützend zur Seite stehen kann.

Barbara Nepp: Man kann sich auch immer mehr zugestehen, dass es egal ist, um welchen Verlust es sich handelt und wie lange her es ist, dass man sich Unterstützung suchen darf.

Man sollte nicht sagen, „Der ist ja schon 20 Jahre tot, und seitdem lebe ich eh schon mit dem Verlust weiter.“ Auch das darf man sich anschauen, weil man es vielleicht auch noch nie betrauert hat.

Ulla Gschwandtner: Richtig, manchmal hat man einfach auch weitergemacht, weil die Lebenssituation es erfordert hat. Jetzt sind vielleicht die Kinder groß und aus dem Haus, und man hat Zeit, die eigenen Themen wieder anzuschauen und sich damit auseinanderzusetzen.

 

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Individuelle Trauer braucht individuelle Rituale – samt Zeit & Räume dafür

 

Von Altären, Friedhöfen und inneren Orten für Trauer

Sind dir irgendwelche Rituale besonders wichtig in der Trauerbegleitung oder in der Integration der Trauer? Vielleicht persönlich oder auch mit den Klienten, die du begleitest?

Barbara Nepp: Ich weiß nicht, ob man es als Ritual bezeichnen kann, aber wieder eben diesem Raum geben und auch Raum schaffen. Das kann für jeden anders ausschauen. Manche möchten sich vielleicht einen kleinen Altar oder einen Erinnerungsort zu Hause schaffen. Für manche ist der Friedhof der wichtige Ort, für andere wieder etwas ganz anderes.

 

Der Wert von Wiederholung und Erinnerung im Jahreskreis

Nur ein Ort im Herzen, aber auch im Jahreskreis Rituale haben, wo der Verlust wieder verstärkt da sein darf zu bestimmten wichtigen Daten. Das muss jetzt nicht Weihnachten oder Ostern sein. Es muss nicht im gesellschaftlichen Rhythmus laufen.

Was wichtig bei den Ritualen ist, ist, dass es etwas sehr Individuelles bleibt. Auch wenn es ritualisiert ist, sollte es

  • zum eigenen Menschen,
  • zum eigenen Verlust oder auch
  • zur Familie und
  • zum System passen.

 

trauerndes Herz

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Was Trauerbegleitung heute leisten darf

 

Zeugenschaft, Mittragen und echte Offenheit

Ulla Gschwandtner: Was gibt es für dich persönlich für besondere Anforderungen in der Trauerbegleitung bzw. was ist für dich als Trauerbegleiterin wichtig?

Barbara Nepp: Es ist erstens schon eine gewisse Offenheit dem Thema gegenüber wichtig. Irgendwie auch eine Neugier auf Menschen, also auf die Geschichten, sich einlassen zu können.

Gleichzeitig sollte man sich ein bisschen von seinen eigenen Geschichten frei machen können in der Begleitung. Verluste sind so etwas höchst Persönliches, wo es wirklich nur Raum für den Menschen geben sollte, den es gerade betrifft, oder für sein System.

Diese Offenheit und manchmal auch dieses „weniger ist mehr“ sind wichtig, weil man den individuellen Trauerweg eines Menschen gar nicht wissen kann oder wie die Verarbeitung läuft. Ich glaube, das ist ganz wichtig.

Ulla Gschwandtner: Wenn du sagst „weniger ist mehr“, glaube ich auch, dass es oft einfach nur ums Dasein im wahrsten Sinne des Wortes geht, ums Raum-Halten. Dass da alles sein darf, was gerade aus einem Menschen herauskommt oder was gerade benötigt wird.

Barbara Nepp: Manchmal ist es auch wichtig, einfach mitzutragen. Das ist ein Wort, das wir in der Trauerbegleitung verwenden. Es geht darum, einfach zu wissen, dass man nicht allein ist, dass jemand gemeinsam aushält, dass jemand mitträgt, der aber gleichzeitig nicht davon betroffen ist.

Ich glaube, das macht die Trauerbegleitung so besonders im Vergleich zu Freunden oder Bekannten. Dieses Mittragen Können ohne eigene Betroffenheit hat eine ganz andere Qualität.

 

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Neue Konzepte statt starrer gesellschaftlicher Vorstellungen

Ulla Gschwandtner: Wovon, findest du, bräuchte es mehr in der Trauerbegleitung?

Barbara Nepp: Ich glaube, dass es allgemein mehr Bewusstsein für Trauer an sich bräuchte, um Trauerbegleitung gut zu ermöglichen. Manchmal bräuchte es sogar weniger in der Trauerbegleitung, dass man diese Ansprüche ein bisschen hinausnimmt und wirklich mehr Augenmerk auf dieses menschliche Miteinander legt.

Auch das Mittragen und den Prozess zu sehen, ist wichtig. Was ich in der Trauerbegleitung auch sehr wichtig finde, ist der Begriff der Zeugenschaft. Dass man auch diese Anerkennung für den Verlust findet in der Trauerbegleitung und dass es wirklich bezeugt wird. Es sollte viel mehr Einlassen vom Umfeld und von den Trauerbegleitern geben, ohne ein Konzept darüber haben zu müssen.

Ulla Gschwandtner: Worauf sollten wir in der Trauerbegleitung mehr Fokus legen?

Barbara Nepp: Vielleicht auf einen gesellschaftlichen Wandel, dass es diesen allgemeinen Konsens weniger gibt und dass es einfach neue Konzepte braucht.

Früher waren Trauerrituale kulturell, auch kirchlich, vorgegeben, die es vielleicht jetzt gar nicht mehr so gibt. Diese Offenheit und das Aufzeigen von Möglichkeiten für individuelle Wege in der Trauer sind wichtig.

Trauerbegleiter sind starke Ermöglicher, die zeigen können, dass es eine gewisse Art von Erlaubnis gibt, zum Beispiel ein Kind zu einem Begräbnis mitzunehmen oder einen Verstorbenen noch einmal zu sehen und zu berühren. Es kann auch sein, dass ein Verstorbener nicht mehr gewaschen werden muss, wenn das die Angehörigen nicht möchten. Ich glaube, da kann man sehr viel ermöglichen. Es braucht einfach mehr Möglichkeiten für individuelle Trauerwege und auch Bestärkung, dass man sich auf sein Bauchgefühl verlassen darf, wenn man einen Verlust erlebt.

 

Begeisterung für Trauerbegleitung als Berufung

Ulla Gschwandtner: Was begeistert dich an der Trauerbegleitung?

Barbara Nepp: Auf irgendeine Art und Weise ist es schon immer eine sehr starke Verbindung mit dem Leben, mit dem eigenen Leben. Auch über Verluste den Wert des Lebens oder das Essenzielle noch mehr zu schätzen.

Viele Trauernde sagen, dass sie auch kompromissloser leben, und man hat das Gefühl, dass man in den Begleitungen von jedem Trauernden so viel über das eigene Leben lernen kann, weil das in Trauerphasen so auf die Essenz reduziert wird.

Ulla Gschwandtner: Fällt dir noch etwas ein, was du ergänzen möchtest, was dir noch wichtig ist, wenn die Trauer in die Welt kommt?

Barbara Nepp: Vielleicht, dass ich mir wünschen würde, dass die Trauer mehr Platz bekommt, aber nicht nur im Sinne von etwas Schwerem, sondern dass man auch sieht, was man für einen Gewinn in der Welt daraus hat, wenn man Trauer zulässt.

Man könnte sehen, wie die Welt vielleicht anders aussehen könnte, wenn mehr Menschen die Gelegenheit hätten, sich ihre Trauer bewusst und professionell begleitet anzuschauen.

Ulla Gschwandtner: Ja, und wie sich dann auch die Gesellschaft verändern würde, im sehr positiven Sinn, wie ich meine. Genau. Dann sage ich danke für deine Zeit und für deine Gedanken zu diesem Thema.

 

 

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Fazit

Trauer ist nicht gleich Trauer – sie ist so individuell wie der Mensch, der sie erlebt. Barbara Nepp zeigt mit ihrer Arbeit, wie wichtig es ist, Raum zu schaffen, zuzuhören und auch das Unaussprechliche sichtbar zu machen. In einer Zeit, in der traditionelle Rituale oft fehlen, braucht es Menschen wie sie, die Mut machen, neue Wege zu gehen. Ihre Haltung, geprägt von Heilsamkeit, Offenheit und Mitgefühl, weist nicht nur Trauernden den Weg – sondern auch einer empathischeren Gesellschaft.

 

Barbara Nepp

Salve, Zentrum für psychosoziale Gesundheit

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Mag.a Ulla Gschwandtner, ist Juristin, Familien-Trauerbegleiterin, psychosoziale Beraterin, diplomierte Aromafachberaterin und Reiki-Lehrerin.
Nach dem plötzlichen Verlust ihrer Tochter Emilia im Jahr 2016 fand sie gemeinsam mit ihrem Mann Robert einen Weg zurück in ein erfülltes Leben und widmet sich heute der Begleitung trauernder Menschen.
Sie nimmt damit verschiedenste, manchmal nicht alltägliche Perspektiven auf Leben, Gesundheit, Regeneration, aber auch das Ende des Lebens, den Tod ein und teilt ihre wertvollen Zugänge, Erfahrungen und Erkenntnisse im Rahmen des Health 4 Me - Blogs.

Mit einer Kombination aus eigener Erfahrung und fundierter Ausbildung unterstützt sie Menschen online und in Präsenz dabei, ihren individuellen Trauerweg zu gehen und wieder Lebensfreude zu finden. Ihr Fokus liegt auf einfühlsamer Begleitung, Verständnis für zwischenmenschliche Dynamiken in der Trauer und der Stärkung von Betroffenen auf ihrem Weg zurück in den Alltag.

Ihr Motto: „Von Grau zu Bunt – den Weg der Trauer mit Herz und Verständnis begleiten.“

Mehr über sie und ihr Angebot unter https://von-grau-zu-bunt.com/