„Stärke ist, wenn man seine Gefühle zulässt“ – Health 4 Me – Trauer-Interview mit einem verwaisten Vater
Am 10. Juni 2025 ereignete sich in Graz der schlimmste Amoklauf in der Geschichte Österreichs. Medienberichten zufolge sind dabei acht Schüler:innen ums Leben gekommen.
Was es bedeutet ein Kind zu verlieren, kann ich als verwaiste Mama erahnen.
Ich möchte daher heute einen besonderen Menschen zu Wort kommen lassen, der uns als
verwaister Vater,
Ehemann und
Trauerbegleiter
mit auf seinen Weg nimmt, den er nach dem plötzlichen Tod seiner Tochter gegangen ist. Und es ist mir ein Anliegen, nochmals auf die Trauer von Vätern zurück zu kommen, auf die ich im Blogartikel zum Vatertag schon eingegangen bin.
Was bedeutet es für einen Vater, ein Kind zu verlieren? In dem bewegenden Interview von Mag. ajur. Ulla Gschwandtner, LSB mit Ihrem Ehemann und mittlerweile auch beruflichen Partner bei „von Grau zu Bunt“, Robert Gschwandtner – verwaister Vater, Trauerbegleiter und Ehemann – öffnen wir einen Raum für das oft übersehene Thema der väterlichen Trauer.
Der Verlust seiner Tochter Emilia hat sein Leben tiefgreifend verändert – und ihn zugleich auf einen Weg der persönlichen Heilung und professionellen Begleitung geführt.
Er gewährt ehrliche und authentische Einblicke in die ersten Momente des Schocks, über das Funktionieren in einer Gesellschaft, die Männer noch immer zum „starken Geschlecht“ erklärt, und darüber, warum gerade emotionale Offenheit echte Stärke zeigt.
Dieses Interview beleuchtet, wie unterschiedlich Frauen und Männer trauern – und wie wichtig es ist, diese Unterschiede nicht zu bewerten, sondern zu verstehen.
Robert Gschwandtner spricht offen seine Erfahrungen als Vater, Partner und Trauerbegleiter als auch Lebens- und Sozial-Berater und gibt wertvolle Impulse für alle, die einen ähnlichen Weg gehen – ob privat oder beruflich.
Erfahren Sie, warum es gerade für Männer wichtig ist, Gefühle nicht zu verdrängen, sondern als Ressource zu begreifen – für sich selbst, für ihre Partnerschaft und ihre Familie.
Reflexion und Ausblick: Erfahrungsschatz aus dem Erlebten
Ulla Gschwandtner :
„Ich freue mich sehr, Ihnen heute Robert Geschwandtner (52) vorzustellen, der uns Einblicke in seine Erfahrungen als verwaister Vater, als Ehemann, als Vater von zwei weiteren Kinder und auch als Trauerbegleiter schenken wird.
Robert, du bist auch mein Mann, deswegen ist das Interview für mich schon besonders.
Ich möchte beginnen mit dem Moment, der alles verändert hat. Kannst du den Moment beschreiben, als du vom Verlust unserer Tochter erfahren hast? Was waren da deine ersten Gedanken und dein erstes Gefühl dazu?“

privat
Der Moment, der alles veränderte: Erinnerung und Schmerz
Robert Gschwandtner:
„Der Verlust meiner Tochter Emilia hat eigentlich in dem Moment begonnen, als ihr im Kreis der Familie in deinen Armen der Kopf zurückgefallen ist und du gesagt hast, „Emilia atmet nicht mehr“. Da war es, glaube ich, 18:30 Uhr am Abend, und dann haben wir alles unternommen, von Reanimation und der Alarmierung der Rettung – wir hatten sämtliche Einsatzkräfte, außer der Feuerwehr, bei uns im Haus. Das war einfach ein Ablauf wie eine Uhr. Ich kann gar nicht mehr sagen, was ich da alles gemacht habe, sondern es ist irgendwie vollautomatisch abgelaufen. In diesen Momenten, in denen ich einfach nur getan habe, so wie alle anderen auch, war die Hoffnung da. Und du bist dann mit Emilia mit der Rettung, ins Krankenhaus gefahren, weil sie zum Fliegen nicht stabil genug war. Unsere ältere Tochter Nina war von der Tante versorgt. Ich bin dann mit dem Auto nachgefahren und während der Fahrt ins Krankenhaus habe ich mir immer wieder gedacht: „Liebe Emilia (ihr Spitzname war Wuki), liebe Wuki-Maus, du weißt, du kannst jederzeit ein zweites Wunder vollbringen“ (Anm.: eine Herz-OP von Emilia wurde ein Jahr zuvor abgesagt, da sie Spontanheilungstendenzen gezeigt hat). Damit habe ich sogar gerechnet, dass ich jetzt reinkomme und Emilia hat sich stabilisiert, sie atmet und sie ist am Leben.
Als ich dann aus dem Auto ausgestiegen bin und ins Krankenhaus gelaufen bin, war das der Moment, wo alles zerfallen ist Mein ganzes Kartenhaus ist eingestürzt, als du dich im Schockraum des Krankenhauses zu mir umgedreht hast. Du hast mich angeschaut mit einem Blick, den ich gar nicht beschreiben kann, du hast dann wortlos den Kopf geschüttelt und gesagt: „Magst du sie halten?“ Und das war eigentlich der Moment, wo die Hoffnung vorbei war und es endgültig war, dass die Emilia leider verstorben ist.“

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Ulla Gschwandtner:
„Kannst du sagen, dass Dein Herz damals gebrochen ist, oder hast Du das damals überhaupt schon realisiert? Wie war diese anfängliche Phase? War das ein Schock oder war der Schmerz gleich da?“
Robert Gschwandtner:
„Also ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie so auf irgendetwas reagiert. Ich habe einfach nur laut geschrien, weil es einfach so unfassbar für mich war. Und in dem Moment auch gleichzeitig, so wie wenn ich auf meine Knie hätte gehen müssen, bildlich gesprochen.
Es war vorbei, es zahlte sich auch gar nicht mehr aus, irgendwie in dem Moment weiterzumachen. Es war so unbegreiflich. Man rechnet mit 100, also dem Weiterleben und 0 tritt ein. In meinem Leben war der Unterschied zwischen dem, was ich erwartet habe, und dem, was ich wirklich bekommen habe, noch die so groß.
Es war ein irrsinniger Schock. Ich kann nicht sagen, dass ein Schmerz da war. Doch, im ersten Moment war, glaube ich, ein Schmerz da, der so tief war für mich, dass ich mich eigentlich von dem Schmerz in meinem Inneren getrennt habe.
Wir haben ja dann im Krankenhaus ein Zimmer bekommen, um uns zu verabschieden. Ich bin mir da auch vorgekommen, als würde ich quasi hinter Dir nachlaufen, weil Du hast dann die Emilia wieder genommen und wir sind in das Zimmer gegangen.
Ich bin nachgetrottet und habe mich gefühlt wie im Film, so wie wenn ich mich dann aus einer Ego-Shooter-Position gesehen hätte, als hätte ich mich selber gehen gesehen.
Die Farben waren alle irgendwie blass, so wie wenn ein Vorhang über mich drüber gewesen wäre, eine Käseglocke mit Milchglas quasi. Also ganz gedämpfte Farben.
Und ja, dann gehen wir halt in das Zimmer. Das ist ungefähr so, wie übermorgen kaufen wir Eis. Also fällt mir gar kein anderer Vergleich ein.
Das war alles so irgendwie ferngesteuert. Und auch ich war ferngesteuert, egal, ob ich da jetzt nachgehe oder nicht, es ändert nichts mehr an der Tatsache: meine Tochter ist tot.“

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Die vielfältigen Rollen in der Trauer: Ehemann & Partner, Vater und mehr
Ulla Gschwandtner:
„Ich möchte gerne ein bisschen mit Dir auf diese unterschiedlichen Rollen eingehen. Fangen wir vielleicht mit uns beiden an, also Du als Ehemann. Wie hat sich denn aus deiner Sicht, der Tod von Emilia auf unsere Beziehung ausgewirkt? Wie hast du das erlebt – Stichwort: Männertrauer? Wie haben wir das geschafft durch diese schwierige Zeit?“
Robert Gschwadntner:
„Als Emilia zur Welt gekommen ist, waren wir, glaube ich, am Ziel angelangt:
Wir wollten immer zwei Kinder haben, doch es hat sehr lange gedauert (Anm.: acht Jahre Kinderwunschzeit). Wir haben gewusst, welche Talfahrt wir nach der Geburt unserer ersten Tochter Nina in unserer Beziehung gehabt haben. Da wäre diese beinahe draufgegangen, weil wir nur mehr Eltern und kein Paar mehr gewesen sind. Ich hatte das Gefühl, die Geburt unseres zweiten Kindes, war die Krönung sozusagen. Unsere Beziehung war stabil, wir haben gewusst, was wir aneinander haben, wir haben uns auch schon sehr lange gekannt.
Und in dem Moment, als die Emilia verstorben ist, hat einfach nur das Funktionieren angefangen.
Ich habe gar nicht gewusst, wie ich auf ihren Tod reagieren sollte. Ich habe mich von mir selbst abgeschottet, von dem, was in mir war und irgendetwas hat mich davon abgehalten, da hinzuschauen.
Im ersten Moment, das weiß ich heute als Trauerbegleiter, ist das absolut normal, dass man sich von diesem Schmerz abkapselt, zumindest für eine gewisse Zeit. Dieses Funktionieren, was Männer sehr gerne machen, ist eigentlich die Antwort auf diesen tiefen Schmerz.
So war es bei mir auch, ich funktionierte einfach, weil ich habe gar nicht gewusst, was ich sonst hätte machen sollen.
Mit unserer Beziehung war es so, dass wir irrsinnig stark und eng miteinander waren, wir haben gewusst, dass wir mit Emilia eine Aufgabe haben, und diese Aufgabe war plötzlich weg. Und es war plötzlich auch gefühlt eine irre Distanz da, weil ich, um nicht zu ertrinken, mich selber retten musste.
Und gleichzeitig habe ich gesehen, wie Du auch ums Überleben kämpfst. Ich hatte aber kein Mittel und keine Wahl, Dich irgendwie aufzufangen. Da war einfach alles nur taub und irgendwie stumpf in mir. Das hat sich aber dann geändert, indem ich quasi meine ganze Energie von mir weggerichtet und nach außen gelenkt habe.
Ich musste jetzt meine Frau unterstützen, weil Dir ging es eigentlich ja noch beschissener als mir. Mit einem 14 Monate alten Kleinkind braucht es die Mama ganz viel und nun war Deine Hauptaufgabe nicht mehr da. Da habe ich mir gedacht, ich unterstütze Dich bestmöglich. Und ich habe mir gedacht, es ist das Wichtigste, dass es Dir gut geht. Wo man rückblickend aber nicht sagen kann, dass es Dir gut ging. Aber ich hatte die Illusion, wenn ich Dich jetzt unterstütze, dann wird es besser.
Im Nachhinein gesehen war das, glaube ich, auch eine nett gemeinte Sache, aber schlussendlich hat das, nicht das gebracht, was ich gedacht habe, dass es bringen würde.“

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Ulla Gschwandtner:
„Hast du das Gefühl gehabt, dass wir unterschiedliche Wege in der Trauer gegangen sind? Du als Mann und ich als Frau?“
Robert:
„Definitiv.
Ich habe die mir gesetzlich zugestandenen 3 Sonderurlaubstage beim Tod eines Kindes, gleich in Anspruch genommen. Die Emilia ist am Dienstag verstorben, also war ich Mittwoch, Donnerstag, Freitag nicht in der Arbeit.
Samstag war ihr Begräbnis. Am Montag war ich wieder in der Arbeit.
Ich hatte irgendwie gar keine andere Idee, als dass ich das gleich wieder mache. Auf der anderen Seite, glaube ich, war es auch irgendwie logisch, dass Du nicht in die Arbeit gegangen bist, weil wir es uns so eingeteilt hatten, dass du Dich als Mama, um Emilia gekümmert hast.
Von Anfang an, hätten unsere Wege gar nicht unterschiedlicher sein können. Ich sofort wieder im Funktionieren und Du in dieser Leere im Haus. Darüber haben wir ja auch in unserem Buch (Anm.: „Von Grau zu Bunt – Wie du nach dem Tod deines Kindes wieder zurück ins Leben findest) geschrieben. Und eigentlich ist uns erst im Schreiben des Buches bewusst geworden, wie es dem anderen wirklich gegangen ist. Und ein wesentlicher Unterschied war auch, dass du dich mit der Trauer früher auseinandergesetzt hast und ich definitiv zu Beginn gar nicht.“

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Ulla Gschwandtner:
„Wir haben ja noch weitere Kinder: Nina war fast elf Jahre alt, als ihre Schwester verstorben ist. Und nach dem Tod von Emilia ist Felix noch zu uns gekommen.
Wie hast du versucht, als Vater für unsere weiteren Kinder da zu sein, also vor allem für die Nina, und gleichzeitig auch deine eigene Trauer zu leben?
Wie hast Du das unter einen Hut bekommen oder hast Du das aus Deiner Sicht gar nicht unter einen Hut bekommen?“
Robert Gschwandtner:
„Das kann ich jetzt schon sagen: Das war eine meiner größten Herausforderungen in meinem Leben, meine damals elfjährige Tochter, gefühlt alleine zu lassen.
Natürlich ist das nicht bewusst geschehen. Nina war irrsinnig stark und gefühlt hat sie uns ihre Trauer, glaube ich, gar nicht sichtbar gemacht, damit wir uns nicht nur um sie kümmern mussten. Ich glaube, sie hat mitbekommen, dass wir so leer sind und so am Ende, dass es gar nicht geht.
Also ich habe sie nicht gesehen. Ich habe sie leider nicht gesehen.
Wie es nachher rausgekommen ist, war sie in der Zeit genauso alleine wie ich auch.
Und meine Pflicht und mein Wunsch als Vater, dass ich für meine Kinder da bin, oder für das eine, das halt dann nur auf Erden war, bin ich überhaupt nicht nachgekommen.
Also das habe ich – aus meiner Perspektive – nur versagt, im Endeffekt, wenn ich ehrlich bin.

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Ulla Gschwandtner:
„Welche Rolle spielt die Erinnerung an die Emilia jetzt im Alltag mit unseren beiden Kindern, also an unsere beiden noch lebenden Kinder? Wie sieht Dein leben als verwaister Vater aus?“
Robert Gschwandtner:
„Also ich habe das große Glück, wenn ich bei mir bin, mich selber spüre, dann spüre ich meine Tochter, meine Emilia, sehr stark.
Und was für einen Effekt das gehabt hat, haben wir in unserer Gruppe mit verwaisten Eltern öfters mal besprochen.
Wenn man natürlich so einen tragischen Schicksalsschlag gehabt hat, spielt das immer wieder mit: „Ich habe einmal den Verlust eines Kindes überlebt und weiter gemacht.“
Aber wenn du fragst, freiwillig möchte ich das kein zweites Mal mehr miterleben.
Dementsprechend schwingt immer eine gewisse Angst mit: Wie ist es denn? Und es ist sicher, diese Unbeschwertheit, die es bei Nina, unserer ersten Tochter, gab, ist bei weitem nicht mehr gegeben, weil einfach im Hinterkopf immer irgendwas aufzeigt, sozusagen: Achtung, nicht, dass da irgendetwas passieren könnte.
Das hat den größten Einfluss, dass man einfach vorsichtiger wird. Vielleicht setzt man unserem Nachzügler, dem Felix, bei weitem nicht mehr solche Grenzen oder ist so streng, weil immer wieder kommt im Inneren: Ich bin eigentlich froh, dass er lebt, und was spielt es jetzt für eine Rolle, wenn er statt einer Süßigkeit dann eine zweite oder eine dritte isst, um ein einfaches Beispiel zu nennen.“
Ulla Gschwandtner:
„Du hast jetzt eher die Auswirkungen von Sorgen, die da sind, beschrieben. Gibt es auch positive Erinnerungen an die Emilia mit unseren beiden Kindern?“
Robert:
„Also es gibt ganz viele positive Erinnerungen und eine Auswirkung auf das Ganze: was mir früher als Mann nicht so wichtig war, sind gemeinsame Erinnerungen oder Ereignisse, die man immer miteinander schafft.
Das war damals einfach, ja, plötzlich ist man Vater von einem zweiten Kind. Natürlich gibt es gewisse Dinge, noch mehr zu tun als sonst. Der Alltag ist mit ein paar zusätzlichen Aufgaben verändert worden.
Was sich jetzt verändert hat für mich, ist, dass es mir ganz wichtig ist, dafür dankbar zu sein, für die ganzen Momente, wo es uns allen gut geht.
Jetzt ist einfach das Bewusstsein dafür da, dass wir zum Beispiel einmal am Tag ein gemeinsames Essen haben, an einem Tisch sitzen und uns vielleicht auch sagen, wie es uns geht.
Das hat sich verändert, eben auch das Bewusstsein, dass die Kinder, die ich noch auf Erden habe, keine Selbstverständlichkeit sind, sondern ich kann eigentlich jede Sekunde dankbar sein kann.“

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Ulla Gschwandtner:
„Ich möchte jetzt weitergehen zur Rolle als Mann. Der Mann gilt ja allgemein in unserer Gesellschaft als das starke Geschlecht. Hat es eine gesellschaftliche Erwartung an dich gegeben, irgendwie stark zu sein, oder hat sich das gesellschaftliche Bild des Mannes auf deine persönliche Trauer ausgewirkt?“
Robert Gschwandtner:
„Eine sehr gute Frage.
Ob sich das Bild von der Gesellschaft auf mich ausgewirkt hat, kann ich jetzt gar nicht beantworten. Aber natürlich bekommt man von klein auf mit, von der Generation meines Vaters oder vielleicht auch nur eine Generation weiter zurück, dass man natürlich stark zu sein hat, dass man eher der ist, der beschützt und behütet.
Ich habe lange daran geknabbert, dass mir das bei meiner Familie nicht gelungen ist.
Bis mir irgendjemand einmal gesagt hat, als Mann behütet man die Familie vor Einflüssen von außen.
Aber Emilia hat eine eigene Entscheidung getroffen, nämlich von innen, dass sie nicht mehr da sein möchte.
Das hat eine irrsinnige Entlastung und eine Bewusstseinsveränderung für mich gebracht, dass ich quasi nicht versagt habe, sondern es war ihre Entscheidung, die der Seele von Emilia.
Es gibt viele Dinge, die ich beeinflussen kann. Das war eigentlich ein sehr großes Learning.
Natürlich ist man als Mann derjenige, der quasi ein Heim baut und dann auch nach außen jagen geht. Jetzt keine Tiere mehr, sondern eher Geld, damit es der Familie gutgeht.
Das Bild hat sich gewandelt, dass es auf andere Art und Weise jetzt wichtig ist, nicht nur im Außen zu sein, sondern genauso auch für die Familie da zu sein und im Innen, sozusagen im Kreis der Familie, präsent zu sein als Mann, als Papa, da zu sein. Das habe ich, wenn ich ehrlich bin, von meinem Vater nicht vermittelt bekommen.“
Ulla Gschwandtner:
„Die Gefühle im Trauerprozess sind ja sehr vielfältig, da werden wir vielleicht auch in Deiner Rolle als Trauerbegleiter noch darauf eingehen.
Wie hast du das erlebt als Mann? Hast du Deine Gefühle, auch Deinen Schmerz und Deine Trauer zeigen können oder hast du Dich manchmal beobachtet oder unter Druck gesetzt gefühlt?“
Robert Gschwandtner:
„Also beobachtet oder unter Druck gesetzt gefühlt habe ich mich nicht, aber es gab viele, viele Momente, in denen ich meine Gefühle nicht gezeigt habe. Definitiv nicht.
Da fällt mir als Allererstes die Arbeit ein. Ich bin in einem sehr männerlastigen Beruf tätig, ich war damals Lehrer, wir hatten 35 Lehrer und eine Lehrerin. Ich wollte eigentlich gar nicht, dass man dort sieht, wie es mir wirklich geht.
Auf die Frage, „wie geht es dir denn eigentlich?“ die Antwort zu geben „Ja, passt eh“, reicht den meisten Männern auch.
Das war für mich damals gut, dass es so war.
Allerdings macht es einen sehr einsam über die Zeit. Diesbezüglich fragt Dich dann nach zwei, drei Monate keiner mehr. Und wenn man wieder ein paar Scherze macht, um das innere dünne Eis, das man noch in sich hat, ein bisschen zu überspielen, dann wird das vom Umfeld wohlwollend aufgenommen.
Dementsprechend hat man eigentlich eh wieder gut zu funktionieren. Bei uns Männern glaube ich, läuft es schon öfter schön oberflächlich dahin, und damit sind wir über eine Zeit lang auch zufrieden.“

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Vom Erleben zur Begleitung: Der Weg zur Trauerbegleitung
Ulla Gschwandtner:
„Du bist ja jetzt unter anderem Trauerbegleiter, genauer gesagt Familientrauerbegleiter.
Wie und wann ist denn der Wunsch entstanden, dass du Menschen in einer ähnlichen Situation begleiten kannst?
War das eher eine bewusste Entscheidung oder ein schleichender Prozess?„
Robert Gschwandtner:
„Dass ich für Menschen da bin, habe ich eigentlich schon lange in mir getragen.
Als Lehrer waren mir meine Schüler immer sehr wichtig, aber das ist mir erst später bewusst geworden.
Es war eigentlich ein schleichender Prozess mit dem großen Plus, jetzt Leute begleiten zu können, wo man genau weiß, wie es ihnen geht, weil man es selbst miterlebt hat.
Das habe ich oft auch als Rückmeldung bekommen, dass man sich bei uns beiden nicht verstellen muss, weil wir genau wissen, was wirklich los ist. Das ist ein Vorteil.
Wenn ich die Erfahrung, dass meine Tochter verstorben ist nun schon gemacht habe, dann ist es natürlich logisch, dass man das in der Begleitung auch einsetzt.
Wenn man schon für Leute da ist, sie auch in wirklich schwierigen Situationen unterstützt, und das ist meiner Meinung nach eine der schwierigsten, wenn ein Kind verstirbt, das eigene, dann ist es wichtig, dass man jemanden hat, der einen unterstützt.
Wir haben das Gott sei Dank auch gehabt, vielleicht nicht in der Art und Weise. Ich weiß selbst, wie gut mir das getan hat, wenn es gelegentliche Momente gab, wie so eine Insel, wo ich nicht die ganze Zeit in diesem Trauermeer schwimmen musste, sondern einmal an Land gehen konnte, um ein bisschen Kräfte zu sammeln, um dann wieder weiter zu machen.
Jetzt bin ich gefühlt so eine Insel für viele Leute, die das annehmen wollen, und ich weiß, wie es ist, wenn man an Land kommt und Unterstützung bekommt.“
Ulla Gschwandtner:
„Welche Aspekte deiner Ausbildung, du bist ja auch psychosozialer Berater (Lebens- und Sozialberater), waren für dich besonders prägend oder vielleicht sogar heilsam?“
Robert Gschwandtner:
„Ich erinnere mich an einen unserer Ausbildner, der hat gesagt:
„50 Prozent von dem, was du tust, ist eigentlich Intuition. Wenn du der folgst und den Raum gibst, hast du 50 Prozent der Arbeit schon gut gemacht.“
Da ist mir im Nachhinein erst so bewusst geworden, dass ich mich gut auf Leute einlassen kann. Bei dieser Ausbildung habe ich auch noch den notwendigen, quasi wissenschaftlichen Hintergrund bekommen. Das hat aber nicht wirklich einen Einfluss auf meine Arbeit selbst gehabt, weil Intuition kann man, glaube ich, nicht erlernen, aber mit Übung stärken. Das war für mich wichtig, dass ich wusste, okay, ich bin eigentlich gut unterwegs.“
Ulla Gschwandtner:
„Inwiefern fließen denn Deine persönlichen Erfahrungen in deine Begleitung ein?“
Robert:
„Wenn jemand kommt, der verwaister Papa ist, dann kommt der eigentlich in erster Linie, weil er weiß, dass ich auch verwaister Papa bin. Wenn dir jemand gegenüber sitzt, der das Gleiche erlebt hat, also den gleichen Schicksalsschlag, dann kann ich da ganz offen und ehrlich darüber sprechen.
Ich weiß, wir Männer sind gerne oberflächlich, das brauchen wir hier nicht sein. Wir wissen beide, um was es geht. Wir haben beide das gleiche Schicksal gehabt.
Dann können wir im Prinzip gleich von einem ganz anderen Niveau starten und von dort gleich in die Tiefe gehen.
Wenn ich jemanden frage, „Wie geht es dir jetzt?“, dann ist das keine beiläufige Frage, sondern ich will wirklich wissen, wie es meinem Gegenüber geht. So kann ich Leuten schneller helfen kann bzw. das Vertrauen sofort da ist, wenn es jemanden gibt, der das schon erlebt hat und überlebt hat.“
Ulla Gschwandtner:
„Welchen Unterschied siehst du zwischen der Perspektive des Betroffenen und der des Begleiters?
Wo ziehst du deine Grenzen, um eine Distanz zu wahren oder brauchst Du das nicht?“
Robert Gschwandtner:
„Natürlich betrifft mich das, wenn mir mein Gegenüber seine Geschichte bzw. sein Schicksal erzählt.
Ich merke in meinem Bauch ein gewisses Gefühl der Betroffenheit, wo ich dann zu mir sage: „Okay, jetzt kommt es darauf an, dass ich „die neutrale Schweiz“ bin und mich nicht in das hineinziehen lasse. Ich bin Coach und Berater, jemand der unterstützt und nicht der, der mitleidet und gleich mal eine Runde gemeinsam heult“.
Der Mensch, den ich begleite, ist momentan in einer sehr schlimmen Phase, aber es hilft ihm nichts, wenn ich mich hineinziehen lasse.
Da kann ich ganz klar meine Grenzen ziehen, merke schon, dass ich mitfühle, aber nicht mitleide.“

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Reflexion und Ausblick: Erfahrungsschatz aus dem Erlebten
Ulla Gschwandtner:
„Was lehrt denn die Trauer oder was hat die Trauer Dich gelehrt?
Hast Du irgendwelche grundlegenden Erkenntnisse durch den Verlust von Emilia als Begleiter gewonnen?“
Robert Gschwandtner:
„Was für mich so wichtig war und mich der Tod meiner Tochter gelehrt hat, ist, dass ich als Mann nicht die ganze Zeit nur funktionieren und tun, tun, tun, tun, tun muss. Sondern ich habe gelernt, teilweise auf sehr schmerzhafte Weise, dass ich auf mich hören darf und meine wahre innere Größe anschauen darf, was in mir selbst los ist. Wenn ich auf mich achte geht das Leben leichter, weil ich bei mir bin. Ich übe mich in den Dingen, die wirklich wichtig sind für mich und für meine Familie, weil es aus mir herauskommt und nicht, weil es irgendwer anderes sagt oder die Gesellschaft es so möchte.“

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Ulla Gschwandtner:
„Hast Du noch einen Rat von Vater zu Vater, den Du einem anderen verwaisten Papa mit auf den Weg geben möchtest?“
Robert Gschwandtner:
„Ja, ich habe noch gelernt „ein Indianer kennen keinen Schmerz“.
Dieser Spruch ist eigentlich ein ziemlicher Bullshit, weil Stärke ist, wenn man seine Gefühle zulässt und wenn es einem nicht gut geht, auch um Hilfe bittet. DAS ist wahre Stärke, und das möchte ich Betroffenen mitgeben.
Wenn Du Hilfe brauchst, weil Du denkst, alleine übermannt Dich das oder diese Welle rollt einfach über Dich drüber, dann würde man im normalen Fall, wenn es etwas anderes ist, auch um Hilfe schreien und hoffen, dass es einem hilft, wenn es ums Überleben geht, so wie ein Rettungsring.
Wenn es um einen selbst geht als Mann, hoffe ich, dass die Zeit bald kommt, dass das wirklich jeder versteht. Um Hilfe zu bitten, ist eigentlich eine Stärke und keine Schwäche.“
Ulla Gschwandtner:
„Sehr schön formuliert. Wie siehst du die Rolle des Trauerbegleiters und Beraters in den kommenden Jahren?“
Robert Gschwandtner:
„Wenn man sich die Dinge, die gerade passieren anschaut oder wie sich unsere Gesellschaft verändert, ist es, glaube ich, höchste Zeit, über folgendes nachzudenken:
Was im Sport komplett normal ist, wenn ich zum Beispiel an unseren Skifahrer Marcel Hirscher denke, der der Beste war und einen der größten Betreuerstäbe und Unterstützer hatte, ist das in der Welt des Sports und des Managements eigentlich normal.
Aber bei uns im Alltag, wenn es um die eigene Persönlichkeit geht, um die Dinge, die auf einen wirken, glaube ich, ist es dringend notwendig, dass man sich jemanden sucht, mit dem man professionell auf seine Themen hinschauen kann.
Egal wer das einmal ist, und wenn die erste Person nicht passt, sucht man eine zweite oder dritte, bis es passt.
Das wird sich im Laufe der Zeit sicher immer wieder verändern.
Das wäre das, was ich hoffe, dass sich verändert, dass wir das miteinander machen und den Job eines Lebens- und Sozialberaters oder psychologischen Beraters nicht als so einen Notnagel, sondern als selbstverständlich ansehen, so wie im Sportbereich.“
Ulla Gschwandtner:
„Ich danke dir, dass wir heute so offen über Deinen Weg reden konnten. Es war für mich ein ganz besonderes Gespräch. Ich danke Dir für Deine Offenheit.“
Robert:
„Ich danke Dir!“
Robert Gschwandtner ist medialer und spiritueller Begleiter, Lebens- und Sozialberater, Jugendcoach, Familientrauerbegleiter, Autor, Techniker, Pädagoge und verwaister Papa

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Fazit
Trauer kennt kein Geschlecht – und doch trauern Männer oft anders. Robert Gschwandtners Weg zeigt in diesem sehr persönlichen Interview eindrucksvoll, dass wahre Stärke nicht im Verdrängen liegt, sondern im Zulassen, Aushalten und Teilen von Gefühlen.
Als Vater, der das Unvorstellbare erlebt hat, nutzt er heute seine Erfahrung dieses schweren Schicksalsschlags, um anderen zur Seite zu stehen.
Er macht Mut, die eigene Verletzlichkeit nicht als Schwäche zu sehen, sondern als Chance zur inneren Entwicklung und echten Verbindung.
Denn: Wenn Männer ihre Gefühle annehmen, schaffen sie nicht nur Raum für Heilung, sondern auch für ein neues, achtsameres Miteinander.
Stärke bedeutet nicht, keine Tränen zu zeigen – sondern, zu wissen, wann man sie fließen lassen darf.
Mag.a Ulla Gschwandtner, ist Juristin, Familien-Trauerbegleiterin, psychosoziale Beraterin, diplomierte Aromafachberaterin und Reiki-Lehrerin.
Nach dem plötzlichen Verlust ihrer Tochter Emilia im Jahr 2016 fand sie gemeinsam mit ihrem Mann Robert einen Weg zurück in ein erfülltes Leben und widmet sich heute der Begleitung trauernder Menschen.
Sie nimmt damit verschiedenste, manchmal nicht alltägliche Perspektiven auf Leben, Gesundheit, Regeneration, aber auch das Ende des Lebens, den Tod ein und teilt ihre wertvollen Zugänge, Erfahrungen und Erkenntnisse im Rahmen des Health 4 Me - Blogs.
Mit einer Kombination aus eigener Erfahrung und fundierter Ausbildung unterstützt sie Menschen online und in Präsenz dabei, ihren individuellen Trauerweg zu gehen und wieder Lebensfreude zu finden. Ihr Fokus liegt auf einfühlsamer Begleitung, Verständnis für zwischenmenschliche Dynamiken in der Trauer und der Stärkung von Betroffenen auf ihrem Weg zurück in den Alltag.
Ihr Motto: „Von Grau zu Bunt – den Weg der Trauer mit Herz und Verständnis begleiten.“
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